Der Bundesrat will plötzlich den Krieg in der Ukraine vorhersagen Es war ein Bild völliger Orientierungslosigkeit: Der Bundesrat musste sich auch Kritik aus dem Parlament anhören, er habe den Ukraine-Krieg beiseite geschoben. Dazu gab es viel zu sagen. Im Nachhinein will die Regierung damit aber nichts zu tun haben – ganz im Gegenteil. 1/7 Kurz vor Kriegsbeginn hatte Armeechef Thomas Süssli erklärt, ein Einmarsch Russlands in die Ukraine sei unwahrscheinlich. Die Show war ein Fiasko. Am ersten Kriegstag in der Ukraine trat Bundespräsident Ignazio Cassis (61) vor die Medien und verlas eine Erklärung. Nach nur wenigen Minuten verschwand er wieder und überließ es seinen Beamten, die Sanktionspolitik des Föderationsrates zu erläutern. Es blieben mehr Fragen als Antworten. Die Orientierungslosigkeit veranlasste sogar die Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments zum Handeln. In einem Brief warf sie der Landesregierung vor, auf den Ukraine-Krieg völlig unvorbereitet zu sein. Zudem erklärte Armeechef Thomas Süssli (55) kurz vor Kriegsbeginn in der Sendung «NZZ-Standpunkte», ein Einmarsch Russlands in die Ukraine sei unwahrscheinlich. YouTube-Video der Armee: “Versuch, Auswirkungen auf die Schweiz zu identifizieren” (01:20)
Plötzlich will Bud alles vorhergesagt haben
Doch nun soll plötzlich alles ganz anders sein. Nun wollen Bundesrat und Militär plötzlich über russische Angriffspläne auf die Ukraine informiert werden. Dies geht aus der schriftlichen Antwort des Bundesrates auf eine Intervention von Andreas Gafner (51) hervor. Nach all den Irrungen und Wirrungen der ersten Kriegstage fragte der SVP-Nationalrat in Bern, woher die Armee eigentlich ihre Informationen habe. Der Bundesrat akzeptiert jedoch keine Kritik. Der Armeechef wurde über nachrichtendienstliche Einschätzungen informiert, die einen Angriff vorhersagen würden. Ergo: Süssli war überhaupt nicht überrascht. Als Beweis nimmt der Bundesrat ein Interview im «Tages-Anzeiger» vom 9. März – knapp zwei Wochen nach Kriegsbeginn! Aber dann war niemand überrascht.
Die Begründungen sind bisher nicht gut ausgegangen
Verteidigungsministerin Viola Amherd (60) wollte Kritik aus dem Parlament nicht hinnehmen. Ihr Departement sei vom Ukrainekrieg gar nicht überrascht worden, betonte sie an einer SVP-Veranstaltung im Mai – was im Parlament von links bis rechts nur noch mehr Köpfe schüttelte. „Wenn der Bundesrat sich auf den Ukraine-Krieg vorbereitet haben will und sich immer noch so verhält und kommuniziert, will ich nicht dabei sein, wenn er von einer Krise überrascht wird“, kommentierte SP-Nationalrätin Franziska Roth (56 ) wer die Uhrzeit im Blick hat. “Die Regierung schien schockiert.” Der Bundesrat beteuert jedoch, gut vorbereitet gewesen zu sein. Nur: “Niemand hätte das genaue Datum und die Brutalität des russischen Angriffs vorhersagen können.” Andernfalls würden Geheimdienste die Entwicklungen in der Region jedoch genau beobachten. Der Bundesrat weist seit Jahren auf die Bedrohung durch Russland hin.
Überraschung: Der Bundesrat prognostizierte sogar den weiteren Kriegsverlauf
Die Regierung behauptet auch, nicht nur den Angriffskrieg, sondern auch seinen weiteren Verlauf vorausgesehen zu haben. Der Geheimdienst habe festgestellt, „dass die Annäherung der russischen Streitkräfte und die anfänglich für eine Übung eingesetzte militärische Kampfunterstützung und Logistik nicht ausreichen würden, um große Teile der Ukraine zu erobern“. Und weiter: „Der Verlauf und das Scheitern des russischen Einsatzes in der Nordukraine bestätigten die Einschätzungen der Geheimdienste.“ Der Bundesrat sieht keinen Anlass für grundlegende Reformen bei den Nachrichtendiensten. Die schriftliche Antwort erklärt jedoch nicht, warum Bundesrat und Verwaltung unmittelbar nach Kriegsbeginn ein Bild völliger Orientierungslosigkeit präsentierten. Auch die Wirtschaftsprüfungsdelegation des Parlaments wird sich davon kaum beruhigen lassen. (db)